Aus dem Leben einer Gottheit, Fotos & Bilder, Prädikat: LESENSWERT

Beamte der Musik

Hinweis:
Dieser Beitrag enthielt bis zur Abänderung am 25. Januar 2017 ein paar sehr ulkige Bandfotos von x-beliebigen Cover- und Partybands. Diese wurden jedoch entfernt, nachdem mich ein sehr mürrischer Bayer am späten Dienstagabend anrief und mir mit rechtlichen Schritten drohte. Bayern, Cover- und Partybands verstehen offensichtlich keinen Spaß.
Ich finde diesen Umstand sehr bedauerlich, denn die Fotos waren echt gut. Sie wurden durch ein buntes Potpourri der schönsten Abbildungen meiner Person ersetzt, was mir irgendwie fast doppelt leid tut.


BEAMTE DER MUSIK

Sie sind der Schrecken eines jeden Stadtfestes, das Grauen und der endgültige Todesstoß für Hochzeiten, Betriebsfeiern, Massenhinrichtungen, Supermarkteröffnungen, runde Geburtstage und bunte Abende:

C O V E R B A N D S !

gewitterwut

Dabei machen Coverbands gar keine Musik im eigentlichen Sinne. Ihr musikähnliches Surrogat ähnelt in seiner starken, steten Verwässerung und Ausdünnung jahrzehntealter Lieder vielmehr den Grundprinzipien der Homöopathie. Den Liedern muss zunächst selbst das letzte Quäntchen Seele entrissen und der letzte Tropfen Rock entzogen werden, damit der erwünschte Placebo-Effekt endlich eintritt. Erst wenn ein Lied vollkommen leer, im homöopathischen Sinne also hochpotenziert, ist, eignet es sich für Coverbands.

Einst ertappte ich durch Zufall eine Coverband beim zaghaften Versuch ein richtiges Lied zu spielen. Es war ein grauenhafter Anblick und meine Ohren zogen sich sofort vollstädig in den Kopf zurück. Dies ist ein äußerst selten zu beobachtender Schutzmechanismus der Ohren und tritt nur in Fällen allergrößter Klangbedrohung auf. Dabei stülpen sie sich quasi vollständig nach innen und verschließen somit den kompletten Gehörgang; ein für Brillenträger aus nachvollziehbaren Gründen eher ungünstiger Vorgang, welcher jedoch Leben retten kann.
Die Finger der Coverbandmitglieder begannen zu schmelzen; der faulige Geruch sich auflösenden Fleisches lag in der Luft. Schon bald fingen die ersten Gehirne Feuer und Rauch quoll aus diversi Körperöffnungen. Die Musiker wanden sich unter höllischen Schmerzen und schrien vor Qual. Der Schlagzeuger schlug unrhythmisch mit seinem Kopf auf die Snare, bis seine Stirn zu einem blutigen Brei aus Haut, Knochen und Gehirnmasse wurde, während der Keyboarder die Tasten aus seinem Instrument riss und sie sich mit voller Wucht in Nase, Augen und Ohren rammte. Irgendwann zuckte die gesamte Mannschaft in Agonie vor sich hin, bis das Feuer sie endlich erlöste. Übrig blieb nur ein leicht siffiger Haufen Asche und meine Erinnerung an die wohl schlechteste Version von „Smells Like Teen Spirit“ aller Zeiten.

Ich habe zuvor den Begriff „Musiker“ im Zusammenhang mit Coverbands benutzt. Das war selbstverständlich ein Fehler und vielleicht ist er euch ja sogar aufgefallen. Natürlich bestehen Coverbands nicht aus Musikern, denn Musiker würden niemals in einer Coverband mitspielen. Niemals! Heinz Strunk bezeichnet diese eher egelartige Unterart des Musikers in seinem famosen Buch „Fleisch ist mein Gemüse“ (Bitte lesen, falls nicht bereits geschehen!) als Mucker. Wir wollen diesen Begriff in Ermangelung einer besseren Alternative übernehmen, obwohl er mir irgendwie nicht abwertend genug erscheint.

Man erkennt den Mucker bereits fernab der Bühne am schalen Charakter, dem ausdruckslosen Gesicht und seinen toten Augen. Wären Mucker eine Farbe, so wären selbst „beige“ oder „staubgrau“ zu extravagant und schrill für sie. Ein weiteres Erkennungsmerkmal ist sein exorbitant exquisites Equipment. Knapp 1800 bezahlte Auftritte mit vierstelligen Gagen pro Jahr erlauben es dem Mucker, seine seelenlose Unmusik auf sauteuren Instrumenten (Bässe von Warwick sind laaaaangweilig!) über unverhältnismäßig große und laute Verstärker in die Sphären der Nichtigkeit zu blasen.
Achtel me the whole night long, baby!

Ein Musiker hat eine musikalische Vision, egal wie klein oder unbedeutend sie auch sein mag, und brennt dafür sie umzusetzen. Grenzen existieren nicht und selbst auf der runtergerocktesten Schrebbelklampfe lassen sich Lieder von überirdischer Schönheit schreiben. An manchen Texten oder Liedern feilt er Ewigkeiten, bis sie endlich seinen Vorstellungen entsprechen. Es zerbrechen regelmäßig Bands an diesen Visionen, gelegentlich sogar der Musiker selbst. Mucker haben keine Visionen. Hier kann kein Feuer der Leidenschaft mehr brennen, weil dieses Feuer schlichtweg nie vorhanden war.

Letztlich gibt es zwei Arten von Coverbands, die es zu unterscheiden gilt:

1. Die klassische Coverband

Sozusagen das Mutterschiff des Verderbens, auch bekannt als „Altherren-Coverrock“. Manche von ihnen fingen bereits in den 70ern, in Ermangelung eigener Ideen, an furchtbaren Krautrock nachzuspielen. Viele von ihnen haben bedauerlicherweise niemals aufgegeben und leider kamen immer neue Bands hinzu. Manchmal besorgen sich die greisen Herren junge Sängerinnen. So können sie sich jugendlich und frisch geben, selbst wenn der eigene körperliche Zerfall bereits komplett abgeschlossen ist. Die Dunkelziffer der jungen und mitunter vielleicht ja sogar begabten Sängerinnen, welche durch skrupellose Coverbands in den unmusikalischen Abgrund des Elends gezogen werden und wurden, ist unüberschaubar hoch. Noch immer sehen Gesellschaft und Politik einfach weg, wenn mit jungen Frauen derart Schindluder getrieben wird.

Ihre Setlists sind ein austauschbares Gruselkabinett altbackener Evergreens und x-mal durchgenudelter Mitgröhlnummern. Bei „Smoke On The Water“ oder „Sweet Home Alabama“ kommen auch die verstocktesten Schnarchnasen in Schwung und allerspätestens beim obligatorischen „Verdamp Lang Her“ wird selbst die letzte, alkoholgetränkte Sparkassenangestellte sentimental, aber auch dies wurde bereits eingehend und auf den Punkt genau von Heinz Strunk beschrieben. Lest einfach endlich sein verdammtes Buch; es ist sehr gut!
Im Grunde genommen habe ich natürlich keine Ahnung, welche „Klassiker der Rockgeschichte“ aktuell von den Horden des schlechten Geschmacks verunstaltet werden, dafür stecke ich glücklicherweise nicht tief genug in der Materie, aber bislang haben die Herrschaften noch immer zielsicher ins Klo gegriffen.
Es muss im letzten Jahr gewesen sein, als ich durch Zufall eine Coverband „Nothing Else Matters“ im Rahmen einer Veranstaltung der ortsansässigen SPD auf dem Marktplatz vorm Kaufland anspielen hörte. Ich konnte es kaum ertragen, es bereitete mir körperliche Qualen. Dieser schwülstige Pathos in der Stimme des Sängers und die furchtbar dahingestümperten Gitarren machten mich wütend. Meine Frau musste mich davon abhalten unsäglichen Quatsch zu gröhlen. Ich möchte so etwas nie wieder erleben müssen.

Meine Lieblingsanekdote zu dem Thema geht allerdings folgendermaßen:
Ich bin so ca. 18 Jahre alt und verkaufe vollkommen bekifft knallbunte Leuchtartikel auf der Gevelsberger Oldie-Night (eine Art Tanztee für die Fraktion Ü30 aber U70). Durch den immensen Lautstärke- und Betäubungspegel kann ich die furchtbare Musik überhören. Irgendwann horche ich dennoch auf, denn in der Halle wird tatsächlich „The Ballad Of Chasey Lain“ von der Bloodhound Gang nachgespielt. Chasey Lain ist eine US-amerikanische Pornodarstellerin und das Lied eine Liebeserklärung an sie.
Die Band spielte den Refrain:

you’ve had a lotta dick (had a lotta dick)
i’ve had a lotta time (had a lotta time)
you’ve had a lotta dick chasey
but you ain’t had mine

Und das Publikum? Lässt sich wie gewohnt zu den üblichen Mitgröhlspielchen animieren und lallt lauthals die Textabschnitte, die in Klammern stehen, mit.

Das hatte seitens der Coverband fast schon Trollqualitäten, sollte aber leider der einzige Höhepunkt des Abends bleiben. Es muss an mangelnden Englischkenntnissen und erheblichem Alkoholmissbrauch gelegen haben, denn der durchschnittliche Gevelsberger redet nicht allzu gerne offen über Schwänze und Pornodarstellerinnen, geschweige denn, dass er unter normalen Umständen darüber singen/gröhlen würde.

2. Die Partyband

Ich befürchte das Grauen wird größer und mein Wissensstand kleiner, denn eine richtige Partyband habe ich wirklich noch nie live miterleben müssen. Die nachfolgenden Zeilen fußen dementsprechend auf Hörensagen, halbärschiger Internetrecherche und meiner eigenen Vorstellung. Allerdings werdet ihr mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits bemerkt haben, dass dies das falsche Blog/die falsche Seite ist, sofern ihr auf gut recherchierte, fundierte und sauber geschriebene Beiträge Wert legt; also weiter im Text.

Lauter, bunter, schriller und bis zu 128 % lustiger als ihre Vorgänger – Partybands sind genetische Mangelmutanten aus der Vorhölle deutscher Unterhaltungsmusik! Soviel Schwung und aufdringlich gute Laune lassen sich meines Erachtens nur durch die ungesunde Mischung von Amphetaminen und Alkohol bewerkstelligen, aber was weiß ich schon!?

Ich habe nicht die geringste Ahnung welche Art von „Musik“ hier nachgespielt wird und möchte es, aus Gründen der psychischen Unversehrtheit, auch gar nicht wissen. Zumindest scheinen ulkige Kostümierungen und ein penetrantes Auftreten zwingend notwendig zu sein. Der von mir geschätzte (und zutiefst verachtete) Publikumsanimationsfaktor wird so ungefähr bei 1300 % liegen. Hier werden Menschen gebrochen.
Mit nach innen gestülpten Ohren wird man hier nicht weit kommen, weshalb ich dem hilflos ausgesetztem Publikum zusätzlich die sofortige Entfernung beider Augäpfel empfehle! Ich würde eher meiner Mutter unverbindlich aus zehn Metern Entfernung zunicken, als mich unbedacht dem audiovisuellen Terror einer Partyband auszusetzen!

Versuch eines Fazits:

Dieser Text vermag das Thema leider nur unzureichend zu erfassen. Der Schreibprozess zog sich über Wochen hin, da ich ein ums andere Mal gezwungen war die Tastatur bzw. den Touchscreen von meinem Erbrochenen zu befreien. Letzten Endes verbrachte ich gefühlt fast mehr Zeit mit dem Entfernen von Kotzebröckchen zwischen den Buchstaben „F“ und „G“ als mit dem eigentlichen Schreiben. Mittlerweile kann ich aber wieder feste Nahrung und die zwingend notwendigen 5000 Kalorien pro Tag zu mir nehmen.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es spricht prinzipiell nichts gegen das Nachspielen von Liedern, insbesonders in den frühen Phasen des Lernens und Übens. Als ich mit der Gitarre und dem Singen anfing, habe ich beispielsweise das komplette Album „Digital ist besser“ von Tocotronic durchgespielt. Es existiert davon sogar noch eine Aufnahme auf Audiokassette. Ist nur bedingt empfehlenswert …
Die eigenen Lieblingslieder nachspielen ist toll und meine unbedingte Empfehlung für jeden Anfänger! Auch gegen gelegentliche Coversongs im Rahmen eines Auftritts ist nichts einzuwenden, aber Coverbands …!?

Ich hoffe ihr versteht was ich meine, wenn ich über den Unterschied zwischen Musikern und Muckern schreibe, denn dieser Unterschied ist entscheidend. Dieser Unterschied ist wichtig.
Es ist der Unterschied zwischen gutem Sex und einem Porno anschauen.
Der Unterschied zwischen Quentin Tarantino und Michael Bay.
Der Unterschied zwischen der richtigen Entscheidung und der AfD.

Jedes Mal, wenn ihr einer Coverband zuhört, stirbt irgendwo auf der Welt ein kleines, süßes Kätzchen.
Bitte hört weg.
Dankeschön.

9 Gedanken zu „Beamte der Musik“

  1. Pingback: Qute Idee | BOB

Hinterlasse einen Kommentar